Briefe an Loretta Walz

Kurz vor dem Lockdown hat Loretta Walz vor BG-Schüler*innen von ihrer Arbeit erzählt. Die Dokumentarfilmerin hat über 200 Interviews mit Zeitzeugen geführt, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren. Ein Großteil der Videos ist im Videoarchiv "Die Frauen von Ravensbrück" im Netz zu sehen. Drei Schülerinnen haben ihre Gedanken zur Arbeit von Loretta Walz aufgeschrieben - in Form eines Leserbriefes

1. Wie tragen Zeitzeugen-Interviews zur Erinnerungskultur bei?

Loretta Walz ist eine deutsche Regisseurin, Autorin und Filmproduzentin, und beschäftigt sich in ihren Werken mit den Einzelschicksalen junger Frauen die in einem KZ gefangen gehalten worden sind. In Form von kleinen Filmen interviewte Loretta Walz verschiedene Frauen und befragte sie über ihr Leben vor der Gefangenschaft, über Hintergründe ihrer Verfolgung und Inhaftierung, ihr Leben während der Gefangenschaft und natürlich auch nach der Gefangenschaft. Doch warum sind Zeitzeugen Interviews so wichtig und wie tragen diese zur Erinnerungskultur bei?

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Allein in Ravensbrück, einem ehemaligen Konzentrationslager von über 1000 Außenlagern, waren ab 1937 über 123 000 Frauen und Mädchen in Gefangenschaft. Diese Frauen sind wie Sie und ich. Sie hatten eine Familie und eine eigene Geschichte zu erzählen. All diese Frauen hatten besondere Talente, besondere Charaktereigenschaften.

Mit ihren Interviews hilft Loretta Walz den Überlebenden, ihre eigene persönliche Geschichte zu erzählen. Sie sind nicht nur eine von Tausenden. Sie sind in diesen Interviews Anna Kopp oder Krystyna Kornacka. Die Frauen, die Loretta Walz interviewte waren kleine Kinder, während ihrer Zeit im Lager, Teenager oder junge Frauen.

Die Gründe ihrer Inhaftierung waren vielfältig. Viele, gerade junge Mädche, wurden verfolgt aufgrund ihres jüdischen Glaubens, andere wurden verfolgt wegen ihrer politischen Einstellung. Laut Loretta Walz erlebten die Inhaftierten die Haft anders, wenn die Frauen wussten, warum sie verhaftet worden waren. Generell erlebte jeder das Lager anders, geprägt von verschiedensten Faktoren.

Die Betroffenen setzten mit ihren Geschichten ein Zeichen gegen Rassismus und Krieg. Sie machen Geschichte lebendig und interessant und verschaffen eine wertvolle Ergänzung zu anderen Quellen. Zeitzeugen waren direkt betroffen und können über Sachverhalte informieren, über die wir Gott sei Dank nur spekulieren können. Im Geschichtsunterricht können wir Propagandaplakate analysieren, einen Einblick in die damalige Zeit geben jedoch am besten direkt Betroffene.

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Zeit, die Loretta Walz sich für uns und besonders für all die Betroffenen genommen hat. Gerade in schwierigen Zeiten, wie auch der Coronakrise ist es wichtig, auf seine Mitmenschen acht zu geben und ihnen ein offenes Ohr zu schenken, wie es Loretta Walz getan hat.

Kaja Schlüter

2. Sehr geehrte Loretta Walz

mit großem Interesse habe ich Ihren Vortrag an meiner Schule über die filmischen Zeitzeugen-Interviews verfolgt. Ich finde, dass Sie auf diesem Weg einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Gerade für jüngere Generationen – zu denen ich mich dazu zähle – sind die Zustände der NS-Zeit nur sehr schwer nachvollziehbar. Wir leben in einer völlig anderen, globalisierten und digitalisierten Welt.

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Auch die Tatsache, dass sie sich bei Ihrer Arbeit auf die Biografien von Frauen spezialisiert haben, möchte ich positiv hervorheben. Nach allen Zeitzeugenberichten, die ich zuvor gesehen hatte, allen Dokumentationen und Berichten in Geschichtsbüchern, muss ich gestehen, dass ich nichts über Frauen in Konzentrations- und Arbeitslagern wusste. Durch die, was das Geschlecht der Gefangenen angeht, anscheinend eher einseitige Darstellung in anderen Medien, war bei mir ein falscher Eindruck entstanden.

Ich war einfach nie auf die Idee gekommen, dass vielleicht auch Frauen von diesem grausamen Schicksal betroffen waren. Und, um das nicht auszulassen, dass auch Frauen sich solidarisch und als Widerstandskämpferinnen von ihrer starken Seite zeigten. Deshalb möchte ich Ihnen für das Schließen dieser Bildungslücke meinerseits danken.

Generell sind Zeitzeugenberichte eine gute Möglichkeit, das Erlebte und Geschehene an spätere Generationen weiterzugeben. Da die meisten Menschen heutzutage aber nicht mehr die Möglichkeit bekommen, einen Zeitzeugen live sprechen zu hören und zu sehen, ist die filmische Konservierung eine moderne Methode, um sich dennoch mit Zeitzeugen auseinanderzusetzen.

Die Idee die Interviews filmisch festzuhalten finde ich besonders gut, da der Zuschauer so einen persönlicheren Bezug herstellen kann als beispielsweise durch geschriebene Berichte. Außerdem ist das Medium „Film“ auch für sehbehinderte oder hörgeschädigte Menschen geeignet, und so ein sehr inklusives.

Den Geschichten der Zeitzeugen wird so ein Gesicht gegeben. Die Interviews zeigen, dass die Frauen zwar alle Schreckliches erlebt haben, sie aber dennoch unterschiedliche Individuen sind, deren Leben nach der Zeit in Gefangenschaft individuell weitergeführt wurden. Sie zeigen, dass die NS-Zeit nicht alles ist, was die Frauen ausmacht.

Gleichzeitig zeigen sie natürlich – und das ist auch wichtig und richtig so – dass sich die Umstände, die zu den Lebensbedingungen dieser Frauen geführt haben, unter keinen Umständen wiederholen dürfen. Die filmischen Zeitzeugen-Interviews haben also auch einen präventiven Charakter.

Die Archivierung und Aufbereitung der Interviews, auch für zukünftige Generationen, ist ein wertvoller und wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur. Ich möchte Ihnen hiermit für Ihre Arbeit danken und mich in Zukunft selbst näher mit einigen Einzelbiografien beschäftigen, meine Neugierde auf die Geschichten vieler starker Frauen ist geweckt.

Mit freundlichen Grüßen

Malin Tempelmann

3. Filmische Zeitzeugen-Interview, aber wofür?

Erinnerungskultur ist gerade in heutigen Zeiten, in welcher rechtsradikale Bewegungen wieder aktiver werden, ein bedeutsames Thema, Sie dient uns als Mahnmal. Zeitzeugen, welche ihre Geschichten erzählen, sind ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur. Doch was passiert, wenn es niemanden mehr gibt, der die vergangenen Geschichten erzählen kann?

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Genau dieser Tatsache wirkt Loretta Walz entgegen. Die Loretta-Walz-Videoproduktion besteht seit 1980 und brachte Dokumentarfilme wie „Die Frauen von Ravensbrück“, „Dora“ und viele weitere heraus.

In ihrem Lebenswerk „Die Frauen von Ravensbrück“ schaffte sie seit dem Jahre 1980 eine der größten deutschen Sammlungen von Videointerviews mit überlebenden Frauen, Männern und Kindern der Frauen-Konzentrationslager. Es wurden Überlebende aus den Konzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück interviewt und ihnen somit die Möglichkeit gegeben ihre eigene individuelle Geschichte zu erzählen.

Die Sammlung umfasst mehr als 200 Interviews mit Überlebenden aus West- und Osteuropa. Es ist zudem wichtig, dass diese Interviews entstehen und aufbewahrt werden, da sie Geschichte in gewissermaßen lebendig machen.

Sie geben nicht nur Auskunft über Sachverhalte, über Fakten. Sondern sie bieten uns Einblicke in die persönlichen Auswirkungen der NS-Zeit. Über Alltagserfahrungen, dem Miteinander, kreativen Überlebensstrategien. So eine ältere Dame davon, wie für ein krankes Mädchen heimlich Essen gesammelt wurde, um dieses am Leben zu halten.

Diese Interviews bieten den folgenden Generationen viele Erfahrungen und Einblicke in das tatsächliche Leben, welche in Geschichtsbüchern nur bedingt geschildert werden. Zeitzeugeninterviews sind persönlich, man erfährt Genaueres aus einer bestimmten Perspektive, aus der Perspektive der Menschen, die die Geschichte am eigenen Leib erfahren haben. Das, was über Begegnungen oder durch das Hören und Sehen von Überlebenden über ihre Erlebnisse und ihr Leben, erfahren wird, kann nicht durch reine Lehrfilme oder Bücher ersetzt werden. Persönliche Geschichten, die mit so vielen Emotionen verknüpft sind, bleiben doch eher im eigenen Gedächtnis, objektive Worte.

Eigene Verantwortung zu übernehmen für Werte wie Demokratie, Frieden und Freiheit, hat somit dann doch eine ganz andere Bedeutung, wenn sie mit solchen Biografien ausgesprochen werden. Somit lässt sich schlussfolgern, dass Zeitzeugen-Interviews heute und auch für unsere Zukunft unersetzbar wertvoll sind, da sie uns auf emotionale Weise darstellen, dass wir uns unserem Frieden nicht allzu sicher sein sollten und alles daran setzten sollten, dass wir Freiheit, Frieden und Demokratie, pflegen und schützen müssen.

Maja Alica Kehl

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